In die Höhe
Einer der schönsten Orte, die ich je besucht habe, ist das Tal der Giganten. Dieser wunderschöne Park beherbergt drei Baumarten des Eucalyptus jacksonii, den die Menschen hier liebevoll „Red Tingle“ nennen und der nur in Westaustralien vorkommt. In den 70ern parkten Touristen ihre Autos in einem der ausgehölten Baumstämme für das perfekte Urlaubsfoto. Das Foto war Standard und gehörte einfach zu einer Reise in den Westen Australiens. Als in den 90ern mittlerweile 100 000 Menschen durch das Unterholz trampelten, beschloss die zuständige Behörde einen Plan zu entwickeln, um die Natur zu schützen.
Mittlerweile bewundern Besucher die Riesen in 40 Meter Höhe von einem Metallsteg aus, dem „Tree Top Walk“, der sich über eine Länge von 600 Metern erstreckt.
Vor vielen Jahren bin auch ich diesen Weg entlanggeschlendert und hatte das Gefühl in den Bäumen zu wohnen, mich frei wie ein Vogel zu bewegen. Das Erlebnis hat mich schlichtweg umgehauen. Bäume fand ich schon immer faszinierend, aber Tree Top Walks liebe ich seit damals.
Mit diesem glücksberauschenden Erlebnis, hatte mein Besuch im Kletterpark letzte Woche allerdings nicht das Geringste zu tun. Als wir ankamen, versuchten wir uns zunächst in den Klettergurt zu zwängen, der mich eher an ein Zaumzeug im Reitstall erinnerte, als an eine Sportausrüstung. Ich fragte mich ernsthaft, wie ich mir dieses Zaumzeug anziehen sollte. Am besten aber war die Einschulung. 20 Personen drängten sich um ein Probeseil während der begeisterte Trainer seine Instruktionen nuschelte und Witze darüber machte, dass die anwesenden Kinder ihre „Scheißdreckscomputer“ (Zitat Trainer) danach nicht mehr benutzen konnten, wenn sie nicht auf ihre Finger aufpassten. Dann entließ er uns mit einem Lächeln und ich machte mich an den Aufstieg.
Was man im Kletterpark lernt
Ich stand oben auf der Plattform. Zugegeben keine 40 Meter über dem Boden, aber 12 waren es bestimmt. Ich sicherte mich im Schneckentempo und dann kam der Moment, wo ich auf das dünne Seil steigen musste, das zwischen den Bäumen gespannt war. Ich konnte es nicht. Es war zuviel verlangt. Das war kein Tree Top Walk, keine Hängebrücke, kein Steg, einfach nur ein Drahtseil. Ich hatte zwar direkt darüber ein zweites Seil zum „Anhalten“, aber es knallte mir abwechselnd gegen den Helm oder schleifte in meiner Achselhöhle. Der Grund, warum ich schließlich den ersten Schritt doch machte, war mein Kind, das auf der anderen Seite wartete und, das ohne mich nicht weitergehen durfte. Ich atmete aus, ich atmete ein, ich versuchte meine Gedanken fallen zu lassen und trat auf das Seil. Hoffentlich hielt meine Sicherung. Mein Leben hing davon ab. Ich wäre gerne im Zeitlupentempo über das Seil balanciert, aber das Kind war bereits weitergeklettert und hängte sich nun völlig falsch für einen Flying Fox ein. Der junge Mann, der uns so leidenschaftlich eingeschult hatte, hatte zwar genuschelt, dass man aber beim Flying Fox Einiges falsch machen kann, hatte ich verstanden. Also rief ich gleichzeitig meinem Kind zu auf mich zu warten, während ich versuchte den Abgrund auszublenden, meine Gedanken zu beruhigen und schnellstmöglich den Abstand zu verringern.
Ich lernte sehr rasch, dass Kletten anstrengend war. Ja, sicher, das hätte ich mir denken können, aber man sieht erst womit man konfrontiert ist, wenn man vor dem Hindernis steht. Mein Weg war entweder ein Drahtseil, mittlerweile easy, oder schwingende Baumstämme oder eine blaue Seilwand, die man seitlich entlang klettern musste oder ein Flying Fox, Achtung, wenn man es nicht bis zum Ende schafft, hängt man in der Luft, oder eine Slackline oder irgendetwas aus Holz und alles wackelte, schwang von rechts nach links, schnitt in meine Finger, knallte gegen meinen Helm, schnitt in meine Beine, tat auf den Füßen weg. Irgendwann hing ich in einem Seil und hätte am liebsten geweint. Ich hatte keine Kraft mehr. In dem Moment wurde mir klar, niemand rettet dich, nur du kannst dich hier selbst rausziehen. Auch, wenn du keine Kraft mehr hast, keinen Mut, du schaffst es trotzdem. Einfach, weil du musst. Atme aus, ordne deine Gedanken, achte auf deine Sicherung. Irgendwann ist der Weg zu Ende. Und dann nahm ich den letzten Flying Fox und war zurück auf dem Boden. An diesem Nachmittag hatte ich in zwei Stunden drei Parcours ohne Pause absolviert, wobei mich der letzte fast zum Weinen brachte. Ich hatte Schnittwunden und klamme Finger und mir tat alles weh. Wir waren die Letzten, der Park sperrte und ich wusste: Egal wie aussichtslos, man kann alles schaffen. Da galt für mich und gilt ganz sicher auch für dich. Wenn du dich jemals vor einem Abgrund wiederfindest: atme aus, atme ein, achte auf deine Sicherung und geh los.